Meditation. COVID-19: Wo ist Gott?

In Erwartung des Osterfestes

Print Mail Pdf

WilliamBlake_1793_JOB William Blake, 1793 Illustrations of the Book of Job

In dieser Pandemie (Covid-19), die unsere Lebensprojekte verändert hat, die unsere systematisch und wissenschaftlich konstruierten Gewissheiten ins Wanken gebracht hat, die die Welt mit ihren dramatischen Szenen von Sterbefällen, von angesteckten Menschen, von unfreiwilliger Isolation, von unterbrochenen Beziehungen, von Arbeit in Krisenzeit auf den Kopf gestellt hat, und die die Grenzen unserer fast unfehlbaren Algorithmen aufgezeigt hat, fragen wir uns: Wie konnte sie unserer Überwachung entgehen? Was ist da schiefgelaufen? Was soll man tun oder nicht tun? Wie lange wird sie dauern? Wie viele werden sterben? Dann kommen Angst, Groll, Schmerz und Hoffnung zum Ausdruck; wir vollziehen Riten, Gesten der Großzügigkeit; wir drücken Bedürfnisse aus, wir pflegen, beerdigen und nehmen Einäscherungen vor. Aber wo ist Gott in all dem?

Es scheint keine Antwort auf das Gebet zu geben. Hört Gott zu? Und warum geschieht das alles? Ist es irgendein Versagen unsererseits, das uns daran hindert, eine Antwort zu finden?

Uns fehlt der ‚Schlussstein‘, der das Artefakt einfasst, der Himmel des Bauwerks, der Bogen einer Brücke, mit der Gefahr, dass alles zusammenbricht, dass alles nutzlos war. Wo ist Gott? Diese tief innerliche und inhaltsschwere Frage kehrt immer wieder zurück.

Ist das mea culpa ein Ritual, ein Tun, das durch unkontrollierbare Umstände ausgelöst wird? Ist es die Frucht oder die Folge eines Fehlverhaltens unsererseits? Ist die Frage ‚Wo ist Gott?‘ überflüssig oder nutzlos? Und hat Gott mit all dem etwas zu tun oder nicht?

Macht es also Sinn zu fragen: ‚Wo ist Gott‘? Welche Antworten haben wir? Gibt es überhaupt welche? Die Algorithmen? Auch sie verweisen wiederum auf andere Algorithmen.

Die Endlichkeit führt dazu, dass wir keine Antwort haben, die in sich selbst existenziell wäre. Genau wie bei Hiob in der Bibel. Die Antworten sind auf konkrete Fragen ausgerichtet. Wenn dies der Fall wäre, bliebe uns nichts als eine Leere ohne Antwort.

Es sei denn, wir heben die Augen, nicht um eine kleine Antwort auf den zu lösenden Fall zu bekommen, sondern um zu erfahren: Wenn Gott nicht da ist oder wenn er in dieser Krise keinen Platz hat, bedeutet das, dass alles in der Endlichkeit des Vergänglichen eingeschlossen ist? Wenn Gott da ist, erkenne ich nicht die Notwendigkeit einer Antwort, sondern vielmehr die einer ‚Übergabe‘.

Dieses „Es ist vollbracht!“, das Christus am Kreuz spricht, ist ein ‚Übergeben‘ („Und er neigte das Haupt und übergab den Geist“ [Joh 19,30]) an den Vater, dem er sich endgültig für jenes mysterium vitae anvertraut, das ihn als lebendigen Teil der Erde in diese Welt geführt hat.

Die Vaterschaft (Gottes) schließt jene Grenzen nicht aus, die Gott selbst sich in seiner ‚Vaterschaft‘ auferlegt hat.

Da kommt die Frage wieder auf uns zu. Nicht um uns selbst Fragen zu stellen und erneut nach dem Sinn einer wenig zuverlässigen Antwort zu suchen, sondern um den Sinn für ein Verhalten zu finden, und zwar gegen jede weitere Versuchung, so zu leben, als gäbe es Gott nicht, oder alles als Buße auf eine göttliche Strafe zurückzuführen. Die einzige Alternative besteht darin, von neuem alles Gott zu ‚übergeben‘ und zu akzeptieren, dass in dieser „Zeit des Menschen“, in der heutigen Zeit, der Akt der vertrauensvollen Übergabe nicht ausgeklammert wird: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“, in dem alles endet: „Mit diesen Worten hauchte er den Geist aus“ (Lk 23,46).

Der Seelenfrieden liegt in der Rückkehr zum ursprünglichen Frieden, von dem alles ausging: ‚Nichts‘ oder ‚Gott‘. Wenn aus dem Nichts das Nichts entsteht, bleibt nur Gott übrig. Es gibt einen Platz für Gott, aber er ist in dem mysterium vitae eingeschlossen.

Das Gute, das getan wurde, bleibt jedoch. Sein Wert bleibt unauslöschlich. Das Gute gehört uns, und das macht Sinn; aber sein Wert, der moralischer und spiritueller Natur ist, geht in die Hände Gottes über. Das Gute vergeht nicht.

Im leeren Grab Christi liegt die Leere unserer Erwartungen, nicht die Leere von Gott. In der Stille liegt die Stille der erwarteten Antwort, nicht das Schweigen Gottes.

In Erwartung des Osterfestes!


Fernando Kardinal Filoni


(3. April 2020)